Gemeinsam gegen Zwangsverheiratung

Hildburghausen – Zu einem trägerübergreifenden Fachtag mit dem Thema „Zwangsverheiratung“ hatten die Verantwortlichen der Kreisdiakoniestelle Hildburghausen/Eisfeld (Michelle Komorowski), des Frauenkommunikationszentrums Binko Hildburghausen (Yvonne Maul) – beide in Trägerschaft des Diakoniewerkes –, des Amtes für Migration des Landkreises Hildburghausen (Elisa Meißner) sowie des Trägerwerkes Soziale Dienste Thüringen (Kathrin Linnig) ins Hildburghäuser Landratsamt eingeladen. Als Fachreferenten waren Mitarbeiter (deren Namen aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden) von Vera, der Fachstelle gegen Menschenhandel und Zwangsverheiratung zu Gast, die die 33 Teilnehmenden aus ganz Thüringen – allesamt Mitarbeitende und Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit sowie aus Beratungsstellen und dem Gewaltschutzbereich – über die Hintergründe aufklärten und Handlungsempfehlungen an die Hand gaben. Träger von Vera ist der Arbeiterwohlfahrtslandesverband (Awo) Sachsen-Anhalt.
Nach einem ersten Kennenlernen und der obligatorischen Begrüßungs- und Vorstellungsrunde standen sowohl die Arbeit von Vera als auch ein intensiver Input über die Themen Ehrkultur und Zwangsverheiratung auf dem umfangreichen Programm. Zum besseren Verständnis für alle erklärten die Referierenden zunächst den Begriff der Ehre, der durchaus kulturell verschieden angewandt wird, und zeigten auf, dass es kein einheitliches Verständnis von Ehre in den jeweiligen sozialen Verhaltensmustern gibt. Doch haben alle Ehrkonzepte eines gemeinsam: Der Begriff wird in Zusammenhang mit Scham und Schande verwendet und hat etwas mit der Verbindung einer Person zu seiner sozialen Gruppe bzw. dem Umfeld zu tun. Stets sind Frauen und Mädchen davon am häufigsten betroffen, gelten sie doch als Trägerinnen der Ehre, und Männer beschützen die Ehre. So ist der Ruf des Mannes und der Familie stark abhängig vom Verhalten der Frau, die als Eigentum der männlichen Familienmitglieder angesehen wird.

Allein im vergangenen Jahr kümmerten sich die Mitarbeitenden von Vera um 160 Klientinnen im Alter zwischen zwölf und 40 plus, die von Zwangsverheiratung und ehrbezogener Gewalt betroffen waren. Sie stammten vorwiegend aus Afghanistan, Algerien, Armenien, Deutschland, Gambia, Guinea, Guinea-Bissau, Indien, Irak, Iran, Kamerun, Kosovo, Libanon, Madagaskar, Mali, Mazedonien, Nigeria, Rumänien, Russland, Saudi-Arabien, Serbien, Syrien, Tadschikistan, Türkei, Ukraine und Vietnam. Viele waren zudem staatenlos. Sie alle wurden Opfer verschiedener Formen von Zwangsverheiratung: Zwangsverheiratung selbst, Heiratsverschleppung, Verheiratung zum Zwecke der Einwanderung, Abgrenzung zur arrangierten Ehe.
Die Referenten klärten zudem über die rechtlichen Grundlagen auf, was es für Betroffene bedeutet, welche Konsequenzen Zwangsverheiratung für die Mädchen und Frauen hat, wie es überhaupt dazu kommt, woran man die unterschiedlichen Formen erkennt und vieles mehr. Selten melden sich die betroffenen Mädchen und Frauen selbst bei entsprechenden Hilfeeinrichtungen, schließlich wollen sie ihrer Familie keine Schande bereiten. Oft findet eine helfende Vermittlung durch andere Institutionen statt wie Frauenhäuser, Jugendämter, Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter oder Beratungsstellen. Aber auch Freunde, Bekannte oder nahestehende Personen finden sich manchmal unter den Unterstützern.
In zwei Workshops erhielten die Teilnehmenden ausführlichere Informationen zu ihren jeweiligen Einsatzstellen in der Kinder- und Jugendarbeit sowie in Beratungsstellen und dem Gewaltschutzbereich. Hierbei ging es hauptsächlich darum, wie man Betroffenheit erkennt, wie man mit Betroffenen umgeht und wie man als Fachkraft intervenieren und unterstützen kann. „Denn die Fälle von Zwangsverheiratung in all ihren Facetten werden steigen und somit der Bedarf an Beratung und Begleitung“, blickten die Vera-Referenten voraus. Ebenso werden weitere Stellen zur Prävention beispielsweise in Schulen benötigt sowie weitere stationäre Angebote für Betroffene. Allerdings bestehe nach wie vor die Gefahr der politischen Vereinnahmung des sensiblen und brisanten Themas, gaben die Referenten zu bedenken, bevor sie sich abschließend der angeregten Diskussion mit den Teilnehmenden widmeten.
Ausführliche Informationen zu den Themen Menschenhandel und Zwangsverheiratung gibt es im Internet unter www.awo-sachsenanhalt.de/fachstelle-vera.

Diakoniewerk der Superintendenturen Sonneberg und Hildburghausen/Eisfeld e.V.
Köppelsdorfer Str. 157 • 96515 Sonneberg • Telefon 03675 4091-110 • eMail info@diakoniewerk-son-hbn.de

 
MITGLIED IM LANDESVERBAND DIAKONISCHES WERK EVANGELISCHER KIRCHEN IN MITTELDEUTSCHLAND E.V.

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